Liebe Leser*innen,
wahrscheinlich denkt ihr, ich wäre etwas spät dran, um Elena Ferrantes Romanbestseller „Meine geniale Freundin : Kindheit und frühe Jugend “ zu rezensieren. Und ihr habt leider Recht.
Der Roman, der den Auftakt zur neapolitanischen Saga begründet, ist in Deutschland bereits 2016 erschienen. Mit seiner Veröffentlichung landete der Roman auch direkt auf der Spiegel-Bestseller-Liste und damit in unseren heiligen Bücherhallen.
Fast jeder aus meinem Freundes- und Bekanntenkreises sprach mich zu dieser Zeit auf diesen Roman an. Als Italienerin bzw. Neapoletanerin müsste dieser Roman ja schon von mir gelesen worden sein. Am besten noch in der Originalsprache.
War er aber nicht.
Denn als gebürtige Kölnerin und Wahl-Zülpicherin lag mir gefühlt nichts ferner.
Nichtsdestotrotz habe ich es versucht… und irgendwie hatten mich die ersten Seiten des Romans leider nicht fesseln können.
Und darin liegt der Grund, warum ich erst jetzt zu diesem wunderbaren Roman gefunden haben.
Jemand, dessen Meinung ich sehr wertschätze, hat mir „Meine geniale Freundin“ als Hörbuch, gelesen von Eva Mattes, vor kurzem erneut empfohlen.
Als Pendlerin höre ich in letzter Zeit wirklich mehr Hörbücher, als dass ich Romane lese, also dachte ich mir: Gib‘ Ferrantes Roman nochmal eine Chance.
Und zum Glück habe ich es getan! 🥰
Denn Eva Mattes haucht der Erzählung rund um die beiden Kindheitsfreundinnen Lila und Elena im Neapel der 1950er und 60er Jahre das wirkliche Leben ein. Die Geschichte der beiden wird von Elena als Ich-Erzählerin rückblickend erzählt. Eva Mattes verleiht jeder Figur des Romans meines Erachtens nach eine authentische Stimme. Ihre Intonation an der richtigen Textstelle lässt die Personen nahbar, ja fast real, erscheinen. Nicht so eintönig, wie ich sie gelesen hatte, sondern kindlich, verbittert, einsam, glücklich, naiv und viele weitere Facetten, die Ferrante ihren Figuren mitgab.
Die Textpassagen, die mich erst nicht fesseln konnten, ließen mich nun nicht mehr los. Und plötzlich war ich in dieser Geschichte eingetaucht. Und dank der wunderbaren Sprecherin hatte ich endlich den Zugang zu Elena Ferrantes Worten. Und diese haben mich tief berührt.
Die Handlung spielt im Neapel der Nachkriegszeit. Die beiden Freundinnen wohnen im gleichen Viertel, wachsen gemeinsam auf und meistern die Widrigkeiten des Lebens. An sich keine neue Idee für eine Erzählung, aber genau da liegt meines Erachtens nach die große Stärke des Romans.
Die Schilderungen des Viertels, der Menschen die dort leben, die damals dort herrschenden Lebensumstände, die Charaktere und ihre Entwicklung sind authentisch. Des Weiteren sind es aber auch Sinnbilder, gar Stereotypen, der Menschen der damaligen italienischen (Nachkriegs-)Gesellschaft.
Ferrante zeichnet mit ihren klaren Worten ungeschönte Persönlichkeiten, die die Lesenden oder Zuhörenden, egal woher sie stammen, auf ihre eigene, persönliche Weise verorten können.
In den Ausführungen habe ich meine Großtanten, meine Großmutter und auch meine Eltern, als Kinder dieser Generation, in Teilaspekten oder gar im Ganzen wiedergefunden.
Ich war durch die präzisen Schilderungen der Ich-Erzählerin komplett in diese Welt eingetaucht, wobei es keiner großen, ausschweifenden Worte bedurfte. Sondern gerade die „Einfachheit“ ihrer Worte, ihre direkte Umsetzung ohne viel Schnickschnack verstärkt das Geschriebene mehr, als es weitere stilistische Mittel gekonnt hätten.
Die Gefühlswelt Elenas, der Ich-Erzählerin, war mir persönlich so nah, das ich für kurze Zeit zwischen ihr und mir keine Grenzen sah; ihre und meine Welt sind eins geworden. So real haben ihre Schilderungen sich auf mein Denken ausgewirkt. Ich fieberte mit, ob beide Freundinnen weiter die Schulen besuchen dürfen, ob ihre Freundschaft sich intensivieren würde, war verletzt durch die harten Worte der Eltern oder über die raue Lebensrealität. Aber am meisten war ich gespannt darauf, wie die beiden sich innerhalb dieser Gesellschaft weiterentwickeln würden. Welchen Lebensweg würden sie einschlagen?
Und mir wurde auch bewusst, dass die Lebensrealität dieser beiden jungen Mädchen und später erwachsener Frauen – vielleicht in einigen Momenten auch überspitzt dargestellt – im Großen und Ganzen aber der Wahrheit entsprachen. Und wie von selbst begann ich darüber nachzudenken und auch meine eigene Lebenssituation in Relation dazu zusetzen. Als hätte zwischen den Zeilen eine stumme Aufforderung dazu gestanden.
Ferrantes Roman thematisiert lebensnah die Rolle der Frau in dieser Zeit. Ihr gelingt es, durch die beiden Lebenswelten der Hauptprotagonistinnen ein umfassendes damaliges Rollenbild der Frau zu stilisieren, da die beiden Lebenswelten gleich scheinen, aber sich doch immer mehr von einander unterscheiden.
All diese verschiedenen Thematiken vereint Ferrante in der Lebensgeschichte dieser beiden Freundinnen. Und Eva Mattes gibt dieser wunderbaren Erzählung eine Stimme.
Der erste Band endet mit einem Cliffhanger.
Womit klar ist, dass ich den nächsten Band anhören muss um zu erfahren, wie es mit den beiden weitergeht.
Und das tue ich bereits, denn alle 4 Bände der neapoletanischen Sage Ferrantes haben wir im Bestand.
Als kleiner Tipp: Über unser Portal Overdrive und die Libby-App lässt sich das digitale Hörbuch einfach und bequem anhören.
Es bestellt euch liebe Grüße,
Carmela Rizzuto
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